Manche Kinder brauchen mehr als kleinere Klassen oder Nachteilsausgleiche – sie benötigen grundlegend andere Zugänge zum Lernen, zur Kommunikation und zum sozialen Miteinander. Der Förderschwerpunkt „geistige Entwicklung“ richtet sich an Kinder mit einer intellektuellen Beeinträchtigung, die dauerhaft und umfassend auf Unterstützung angewiesen sind. Was bedeutet das konkret – und wann ist diese Schulform bei ADHS oder Autismus sinnvoll?
Was ist ein SBBZ mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung?
Ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (SBBZ GENT) ist für Kinder und Jugendliche vorgesehen, die aufgrund ihrer geistigen Entwicklung nicht oder nur sehr eingeschränkt dem Bildungsplan der Regelschule folgen können.
Typische Merkmale:
- sehr kleine Klassen (oft 4–8 Schüler*innen)
- höchst individuelle Lernziele, kein standardisierter Lehrplan
- Förderung in den Bereichen Alltagskompetenz, Sprache, Motorik, Kommunikation, Selbstständigkeit
- häufig interdisziplinäres Team (Sonderpädagoginnen, Pflegekräfte, Therapeutinnen)
- Schulbesuch in der Regel bis zum 18. Lebensjahr und darüber hinaus (Berufsschulstufe)
Stärken dieser Schulform
- individuell angepasster Unterricht, orientiert an der Lebenswelt des Kindes
- hoher Betreuungsschlüssel mit enger Bindung an feste Bezugspersonen
- Förderung auch außerhalb kognitiver Leistungen (z. B. sozial-emotional, kommunikativ, lebenspraktisch)
- oft integrierte therapeutische Angebote (Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie)
- kein Noten- oder Leistungsdruck, Fokus liegt auf Entwicklung statt Vergleich
- Möglichkeit zur intensiven Begleitung in Übergängen (Wohnen, Arbeiten, Freizeit)
Herausforderungen – besonders bei ADHS und Autismus
- stark reduzierte fachliche Anforderungen – für Kinder mit hoher Intelligenz nicht geeignet
- geringe Durchlässigkeit: Rückkehr in Regelschule oder Erwerb höherer Abschlüsse kaum möglich
- Stigmatisierung im sozialen Umfeld („Behindertenschule“) – Eltern und Kinder brauchen ein starkes Netzwerk
- nicht überall ist Autismusförderung explizit verankert – obwohl viele Kinder im Spektrum diese Schulform besuchen
- wenig Einblick von außen – Eltern müssen sich aktiv informieren und vernetzen
Einschätzung bei ADHS:
Diese Schulform ist nicht primär für Kinder mit ADHS gedacht – es sei denn, die ADHS geht mit massiven kognitiven Einschränkungen oder einer Mehrfachbehinderung einher. In solchen Fällen bietet das SBBZ GENT:
- hohe Verlässlichkeit und Ruhe
- einen geschützten Raum ohne Vergleichsdruck
- klare, einfache Kommunikation
Bei „klassischer“ ADHS ohne kognitive Einschränkung ist diese Schulform nicht geeignet – hier wäre eine Lern- oder sozial-emotionale Förderung passender.
Einschätzung bei Autismus:
Kinder mit Autismus besuchen SBBZ GENT dann, wenn sie:
- zusätzlich eine intellektuelle Beeinträchtigung aufweisen
- nicht sprechen oder sehr eingeschränkt kommunizieren
- umfassende Unterstützung in allen Lebensbereichen brauchen
- von festen Tagesstrukturen und geringer Gruppengröße profitieren
Gerade für nicht-sprechende, stark sensorisch beeinträchtigte oder mehrfachbehinderte Kinder im Spektrum kann das SBBZ GENT ein sicherer und stabiler Lernort sein – mit Raum für Entwicklung jenseits von Sprache und Noten.
Was hilft in der Praxis?
- klare Diagnostik und Förderplanung in Zusammenarbeit mit Frühförderstellen oder SPZ
- frühzeitige Hospitationen und Gespräche mit Schulteam
- Einbezug von Pflegediensten, Ergotherapie, Autismusambulanz
- langfristige Lebensplanung mitdenken (z. B. Übergang in Werkstätten, Wohnangebote, betreute Freizeit)
- starke Elternbegleitung durch Schule, Elternnetzwerke oder Verbände
Fazit:
Das SBBZ mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung ist für Kinder mit umfassendem Unterstützungsbedarf ein geschützter, entwicklungsorientierter Ort – nicht defizitorientiert, sondern ressourcenfokussiert. Für Kinder mit Autismus und zusätzlicher geistiger Behinderung kann es den nötigen Rahmen geben, um in ihrem Tempo zu lernen, zu kommunizieren und zu wachsen.
Für Kinder mit ADHS oder rein sozial-emotionalem Bedarf ist diese Schulform nicht der passende Ort. Hier sollte genau geprüft werden, ob eine andere Schulform besser zu den Fähigkeiten und Bedürfnissen passt.

