Wenn das Lernen dauerhaft schwerfällt, geraten Kinder im Regelschulsystem schnell unter Druck – und mit ihnen ihre Eltern. Für manche ist dann der Wechsel an eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen (in Baden-Württemberg: „SBBZ Lernen“) eine wichtige Entlastung. Doch während die einen diese Schulform als Rettung erleben, fürchten andere den Stempel „Sonderschule“. Wie sieht der Alltag dort wirklich aus – und was bedeutet er für Kinder mit ADHS oder Autismus?
Was ist ein SBBZ Lernen?
Ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt Lernen (SBBZ Lernen) richtet sich an Kinder, die im Bereich Lesen, Schreiben, Rechnen, Arbeitsverhalten und Lernorganisation dauerhaft große Schwierigkeiten haben – trotz aller Förderung.
Typische Merkmale:
- kleine Lerngruppen (meist 6–12 Kinder)
- intensive Betreuung durch speziell ausgebildete Sonderpädagog*innen
- stark reduzierter Lehrplan
- praktisch orientierter Unterricht
- kein Schulabschluss wie Abitur oder mittlere Reife – meist einfacher Hauptschulabschluss oder interner Abschluss
Stärken dieser Schulform
- Entlastung vom Leistungsdruck: Kinder dürfen in ihrem Tempo arbeiten
- kleine Klassen, in denen alle Kinder Förderbedarf haben – kein ständiger Vergleich
- enge Beziehung zu Lehrkräften: feste Bezugspersonen, meist stabile Klassenteams
- mehr Zeit für Grundlagen: z. B. Lesen, Rechtschreibung, Rechnen
- oft bessere Beobachtung und Diagnostik möglich
- Raum für emotionale Stabilisierung bei schulmüden Kindern
Herausforderungen – besonders bei ADHS und Autismus
- Stigmatisierung („Sonderschule“, „Schule für die Schwachen“) – leider auch im sozialen Umfeld
- weniger akademische Perspektiven – Übergang auf Realschule oder Gymnasium kaum möglich
- Heterogenität trotz Förderbedarf – viele Kinder mit sehr unterschiedlichen Herausforderungen
- wenig gezielte Autismus-Förderung – Fokus liegt meist auf Lernen, nicht Verhalten oder Wahrnehmung
- teilweise fehlende Durchlässigkeit zurück ins Regelsystem
Einschätzung bei ADHS:
Kinder mit ADHS profitieren von der Struktur, der engen Betreuung und der geringen Gruppengröße. Viele erleben hier erstmals wieder Erfolgsmomente und echte Anerkennung – besonders nach Jahren voller Kritik.
Was positiv wirkt:
- klare Regeln, feste Rituale
- Bewegungspausen, individuelle Arbeitspläne
- Rücksicht auf Impulsivität, ohne ständiges Maßregeln
Entscheidend ist, dass das Kind nicht unterfordert wird – denn auch Kinder mit ADHS sind oft sehr intelligent, können aber im Regelschulsystem nicht zeigen, was sie können.
Einschätzung bei Autismus:
Bei Kindern mit Autismus ist die Einschätzung differenzierter:
- Wenn kognitive Einschränkungen bestehen oder schulisches Lernen stark erschwert ist, kann ein SBBZ Lernen sinnvoll sein
- Wenn das Kind durch Reizüberflutung oder soziale Unsicherheit leidet, kann die kleine Gruppe entlastend wirken
- Aber: Für Kinder mit hoher Intelligenz und autistischen Zügen ist der stark reduzierte Lehrplan häufig nicht geeignet – es besteht die Gefahr der Unterforderung und Isolation
Was hilft in der Praxis?
- Vorurteile hinterfragen – es geht nicht um „weniger“, sondern um passenderes Lernen
- offene Gespräche mit der Schulleitung und Besuch der Einrichtung
- Diagnostik nutzen, um gezielt zu argumentieren (Was braucht das Kind? Wofür ist das SBBZ da?)
- Übergang gut vorbereiten, wenn der Wechsel aus der Regelschule kommt – Kind mitnehmen!
- Zielvereinbarungen treffen, z. B. emotionale Stabilisierung, individuelle Lernziele, Förderung der Selbstständigkeit
Fazit:
Das SBBZ Lernen ist kein Abstellgleis, sondern kann ein echter Schutzraum sein – besonders für Kinder, die im Regelsystem nur noch kämpfen. Es bietet Ruhe, Struktur, Förderung und Beziehung – alles, was viele Kinder mit ADHS dringend brauchen.
Für Kinder mit Autismus ist die Eignung sehr individuell zu prüfen: Je nach Unterstützungsbedarf kann das SBBZ Lernen eine gute Wahl sein – oder eine pädagogische Fehlentscheidung. Entscheidend ist nicht der Name der Schule, sondern die Frage: Passt das Konzept zu meinem Kind?

