Für viele Eltern klingt die Realschule zunächst nach einem vernünftigen Kompromiss: nicht so leistungsstark wie das Gymnasium, aber auch nicht so praxisbetont wie die Werkrealschule. Sie soll solide Grundlagen vermitteln, offen für verschiedene Bildungswege bleiben und gut vorbereiten – sei es auf eine Ausbildung oder ein späteres Abitur. Aber wie gut passt dieses Modell zu Kindern mit ADHS oder Autismus? Ein Blick lohnt sich.
Was ist die Realschule?
Die Realschule führt in der Regel von Klasse 5 bis 10 und endet mit dem mittleren Bildungsabschluss (Realschulabschluss). Der Fokus liegt auf einer ausgewogenen Mischung aus Theorie und Praxis: Es gibt mehr Anspruch als in der Werkrealschule, aber weniger Abstraktion und Druck als am Gymnasium.
Typisch für die Realschule sind:
- Allgemeinbildende Fächer mit zunehmendem Niveau
- Einführung von Wahlpflichtfächern (z. B. Technik, Französisch, AES)
- Projektorientiertes Arbeiten
- Vorbereitung auf Ausbildung oder berufliches Gymnasium
In manchen Bundesländern gibt es Gemeinschaftsschulen, die Realschulniveau integrieren – das Prinzip bleibt jedoch ähnlich.
Stärken dieser Schulform
- guter Mittelweg für Kinder mit Leistungsfähigkeit, aber Förderbedarf
- mehr Struktur und Planung als in sehr offenen Systemen
- oft übersichtlicher als Gymnasien, mit stabileren Lehrerteams
- Anschlussfähigkeit: Ausbildung oder Übergang auf berufliches Gymnasium möglich
- oft vorhandene Berufsorientierung ab Klasse 8
Herausforderungen – besonders bei ADHS und Autismus
- steigende Anforderungen ab Klasse 7/8: Prüfungsdruck, Projektarbeiten, Gruppenaufgaben – das kann stressen
- nicht immer individuelle Förderung: Viele Realschulen haben keine sonderpädagogische Unterstützung vor Ort
- soziale Dynamik in der Pubertät: Konflikte, Mobbing oder Ausgrenzung bei „Anderssein“
- hohes Maß an Selbstorganisation nötig – Hausaufgaben, Material, Termine
- stark bewertungsorientiert – viele Klassenarbeiten, Noten, Vergleichsarbeiten
Einschätzung bei ADHS:
Für leistungsfähige Kinder mit ADHS kann die Realschule gut passen, wenn die Struktur klar ist und die Lehrkräfte Verständnis mitbringen.
Was hilft:
- klare Tages- und Wochenstruktur
- Bewegungsmöglichkeiten in Pausen und AGs
- Transparenz bei Leistungsanforderungen
- unterstützende Personen wie Vertrauenslehrkräfte oder Schulsozialarbeit
- Nachteilsausgleich bei Aufmerksamkeitsproblemen, z. B. verlängerte Arbeitszeit, Aufgaben in Etappen
Schwierig wird es, wenn das Kind in allen Fächern „mitlaufen“ muss, ohne Raum für Entlastung. Dann drohen ständige Misserfolge.
Einschätzung bei Autismus:
Die Realschule kann für autistische Kinder mit hoher kognitiver Leistungsfähigkeit ein gangbarer Weg sein – aber nur, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
- ruhiges, strukturiertes Klassenklima
- verlässliche Lehrpersonen
- keine ständige Gruppenarbeit
- vorhersehbare Abläufe
- ggf. Rückzugsoptionen in Pausen
Für viele Kinder mit stärkerer Ausprägung von Autismus ist das System aber zu sozial aufgeladen und zu wenig angepasst, insbesondere wenn keine Schulbegleitung vorgesehen ist.
Was hilft in der Praxis?
- Informationsgespräch mit Schulleitung oder Stufenleitung vor Schulwahl
- Hospitationstage nutzen, ggf. mit Elternbegleitung
- Offenes Gespräch über Förderbedarf: Diagnostik, Nachteilsausgleich, Schulbegleitung
- Ansprechpartner suchen: z. B. Schulsozialarbeit, Beratungslehrkraft
- Zielvereinbarungen oder Lernverträge für Selbstorganisation
Fazit:
Die Realschule ist ein stabiler, „mittlerer“ Weg – und für manche Kinder mit ADHS oder Autismus durchaus machbar. Entscheidend ist das konkrete Umfeld: Gibt es Verständnis, Strukturen, Spielräume? Wird Förderung aktiv angeboten – oder muss das Kind sich anpassen?
Wenn die Schule bereit ist, sich zu öffnen, und das Kind nicht permanent an Grenzen stößt, kann die Realschule eine gute Wahl sein. Wenn nicht, braucht es Mut für Alternativen.

