Werkrealschule & Hauptschule

Wenn die Grundschule endet, stellt sich für viele Eltern die Frage: Welche weiterführende Schule ist die richtige? Für Kinder mit Unterstützungsbedarf kann die Werkrealschule oder Hauptschule zunächst attraktiv wirken – kleinere Klassen, mehr Praxisbezug, weniger Leistungsdruck. Doch ist das wirklich eine gute Lösung bei ADHS oder Autismus? In diesem Beitrag werfen wir einen ehrlichen Blick auf Stärken und Grenzen dieser Schulform.

Was ist eine Werkrealschule bzw. Hauptschule?

In vielen Bundesländern – wie z. B. Baden-Württemberg – wurde die klassische Hauptschule in die Werkrealschule überführt. Zielgruppe sind Schüler*innen, die eher praktisch orientiert sind und keinen gymnasialen oder Realschulabschluss anstreben. Der Unterricht ist stärker lebensnah und berufsorientiert ausgelegt.

Typisch ist:

  • Klassenstufen 5–10, teilweise mit zusätzlichem Abschlussjahr
  • praktische Fächer, Berufsvorbereitung, Projekte
  • Abschlüsse: Hauptschulabschluss, Werkrealschulabschluss (vergleichbar mit mittlerer Reife)

Die Klassengrößen sind oft kleiner als am Gymnasium oder an der Realschule, die Durchlässigkeit aber begrenzt.

Stärken dieser Schulform

  • Kleinere Klassen ermöglichen mehr Nähe zur Lehrkraft und ggf. individuelle Begleitung
  • Stärkere Praxisorientierung: z. B. durch handwerkliche Fächer, Sozialprojekte, Berufspraktika
  • Weniger akademischer Druck – hilfreich für Kinder mit Lernblockaden oder Konzentrationsschwierigkeiten
  • Geringere emotionale Überforderung als in großen, leistungsstarken Systemen
  • Chancen für Spätstarter: Kinder, die später aufblühen, können mit Zusatzjahr den mittleren Bildungsabschluss machen

Herausforderungen – besonders bei ADHS und Autismus

  • Sozial auffällige Klassenzusammensetzungen: Viele Schüler*innen bringen bereits eigene Schwierigkeiten mit. Kinder mit ADHS oder ASS sind hier oft nicht mehr die einzigen mit Förderbedarf – was hilfreich, aber auch belastend sein kann.
  • Hoher Anspruch an Selbststrukturierung: Trotz Praxisbezug sind eigenständiges Arbeiten, Gruppenprojekte und Praktika verpflichtend – nicht jedes Kind mit ADHS/ASS kommt damit gut klar.
  • Weniger Ressourcen: Förderlehrkräfte, Schulbegleiter oder sonderpädagogische Unterstützung sind nicht automatisch verfügbar.
  • Ruf und Image: Trotz aller Bemühungen kämpfen Werkrealschulen oft mit Vorurteilen – das kann auf Kinder abfärben („Ich bin auf der ‚dummen‘ Schule“).

Einschätzung bei ADHS:

Die Werkrealschule kann für Kinder mit ADHS eine echte Chance sein – besonders wenn schulischer Leistungsdruck in der Grundschule bereits zum Problem wurde. Die praxisorientierte Ausrichtung bietet Raum für Erfolgserlebnisse jenseits von Klassenarbeiten.

Entscheidend ist:

  • Gibt es klare Regeln und verlässliche Lehrkräfte?
  • Werden Konzentrationsschwierigkeiten berücksichtigt?
  • Gibt es Bewegungsmöglichkeiten und Pausenstrukturen?
  • Gibt es Verständnis für emotionale Ausbrüche?

Wo diese Punkte erfüllt sind, kann sich ein ADHS-Kind positiv entwickeln.

Einschätzung bei Autismus:

Für Kinder mit Autismus ist die Werkrealschule nur bedingt geeignet, da sie stark auf soziale Interaktion (Gruppenarbeit, Praktika, Präsentationen) ausgelegt ist. Hier kann es schnell zu Überforderungen kommen – besonders bei sensorischer Reizüberflutung, unklaren Rollenerwartungen und häufigen Lehrerwechseln.

Wenn das Kind:

  • gut strukturiert werden kann
  • einen Rückzugsort hat
  • feste Bezugspersonen vorhanden sind
    → kann die Werkrealschule funktionieren.

Bei stärkeren Einschränkungen ist jedoch eine andere Schulform oft geeigneter (z. B. Förderschule sozial-emotional oder Lernen).

Was hilft in der Praxis?

  • Frühzeitiges Kennenlerngespräch mit der Schulleitung (Wie gehen Sie mit ADHS/Autismus um?)
  • Hospitationstag vereinbaren, um Schule und Klassensituation kennenzulernen
  • Antrag auf Nachteilsausgleich oder Inklusionsbegleitung
  • Feste Ansprechpartner (z. B. Schulsozialarbeit oder Vertrauenslehrkraft)
  • Berufsvorbereitung anpassen: evtl. angepasste Praktika, individuelle Begleitung

Fazit:

Werkrealschulen sind weder die „Resteschule“ noch das Allheilmittel – sie können für bestimmte Kinder mit ADHS eine tolle Chance sein, wenn Struktur, Beziehung und Förderung stimmen. Bei Autismus braucht es genaueres Hinschauen: Ist genug Unterstützung da? Wie stark ist die Belastung durch das soziale Umfeld?

Eltern sollten sich Zeit nehmen, genau hinsehen – und bei Bedarf nachfragen. Denn wie immer gilt: Die Schulform ist nur der Rahmen. Entscheidend sind die Menschen, die ihn füllen.

Avatar von Heiko

Von Heiko

Autor des Ratgebers AD(H)S bei Kindern bis 12 Jahren

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