Medikamentöse Therapie bei ADHS

Was Medikamente leisten können – und was nicht

Die medikamentöse Behandlung ist einer der bekanntesten, aber auch einer der meistdiskutierten Therapiebausteine bei ADHS. Viele Eltern stehen der Entscheidung zunächst skeptisch gegenüber – zu Recht, denn sie verdient eine gute Aufklärung und eine individuelle Abwägung. In diesem Artikel erfährst du, wann Medikamente sinnvoll sind, wie die Behandlung abläuft und wo ihre Chancen und Grenzen liegen.

Warum Medikamente überhaupt?

ADHS ist keine reine Verhaltensauffälligkeit – sondern eine neurologische Entwicklungsstörung. Das bedeutet: Im Gehirn von betroffenen Kindern funktioniert die Signalübertragung anders, vor allem im Bereich der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin, die für Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Motivation zuständig sind. Medikamente setzen genau dort an. Sie helfen, diese Signalweitergabe zu verbessern – und damit die Reizfilterung, Konzentrationsfähigkeit und Selbststeuerung.

Welche Medikamente werden eingesetzt?

In Deutschland sind hauptsächlich zwei Wirkstoffgruppen zugelassen:

  • Stimulanzien: vor allem Methylphenidat (z. B. Ritalin®, Medikinet®) und Amphetaminsalze (z. B. Elvanse®)
  • Nicht-Stimulanzien: z. B. Atomoxetin (Strattera®)

Stimulanzien wirken relativ schnell (innerhalb von 30–60 Minuten) und werden individuell dosiert. Nicht-Stimulanzien brauchen oft mehrere Wochen, bis sie ihre volle Wirkung entfalten, können aber in bestimmten Fällen eine sinnvolle Alternative sein (z. B. bei gleichzeitigen Ängsten oder Schlafproblemen).

Wie läuft die Behandlung ab?

Die medikamentöse Therapie ist kein einfacher Schritt – sie darf nur von Kinder- und Jugendpsychiatern oder spezialisierten Ärzten eingeleitet werden. Der Ablauf ist gesetzlich und medizinisch klar geregelt:

  1. Sorgfältige Diagnostik: Die Diagnose ADHS muss sicher gestellt sein – idealerweise durch ein interdisziplinäres Team.
  2. Aufklärungsgespräch: Eltern (und je nach Alter auch das Kind) werden über Wirkung, Risiken und Alternativen informiert.
  3. Einstellungsphase: Das passende Medikament wird ausgewählt, Dosierung langsam angepasst. Wichtig ist eine genaue Dokumentation von Wirkung und Nebenwirkungen.
  4. Begleitende Maßnahmen: Medikamente sollen andere Maßnahmen nicht ersetzen, sondern unterstützen – z. B. Verhaltenstherapie, Elterntraining oder schulische Anpassungen.

Was Medikamente leisten können

Richtig eingestellt, können Medikamente bei vielen Kindern mit ADHS spürbar helfen:

  • Verbesserung der Konzentration
  • Reduzierung von Impulsivität und Hyperaktivität
  • Bessere Reizfilterung – weniger Überforderung im Alltag
  • Mehr innere Ruhe und Struktur
  • Entlastung für das Kind, die Familie und oft auch das schulische Umfeld

Viele Kinder beschreiben das Gefühl, „endlich klar denken“ zu können. Eltern berichten, dass es wieder leichter fällt, Konflikte zu vermeiden oder gemeinsam Hausaufgaben zu machen.

Was Medikamente nicht leisten

Trotz ihrer Wirksamkeit haben Medikamente klare Grenzen:

  • Sie verändern keine Persönlichkeit – sie machen das Kind nicht „braver“ oder „angepasster“
  • Sie lösen keine familiären oder schulischen Konflikte
  • Sie ersetzen keine Beziehung, keine Therapie und kein Verständnis
  • Sie wirken nicht bei jedem Kind gleich gut
  • Nebenwirkungen sind möglich – u. a. Appetitmangel, Einschlafprobleme, emotionale Abflachung (bei Überdosierung)

Entscheidend ist die individuelle Begleitung – mit regelmäßigen Kontrollterminen und offener Kommunikation zwischen Eltern, Kind und Arzt.

Für wen ist das geeignet?

Eine medikamentöse Therapie ist kein Muss, aber sie kann ein wichtiger Baustein sein, wenn

  • das Kind im Alltag massiv beeinträchtigt ist (z. B. durch Konzentrationsstörungen, Impulsdurchbrüche, schulisches Scheitern)
  • andere Maßnahmen (z. B. Verhaltenstherapie) allein nicht ausreichen
  • das Kind sich selbst „im Weg steht“ und unter seinen Symptomen leidet

Wichtig ist: Die Entscheidung sollte wohlüberlegt, individuell und gut begleitet getroffen werden. Viele Kinder profitieren deutlich – andere brauchen Zeit, um ihren eigenen Weg zu finden.

Fazit

Medikamente können bei ADHS echte Chancen eröffnen – wenn sie nicht als schnelle Lösung, sondern als Teil eines umfassenden Therapiekonzepts verstanden werden. Sie helfen nicht gegen „Erziehungsprobleme“, sondern gegen neurologisch bedingte Schwierigkeiten. Und sie sind kein Zeichen von Scheitern, sondern von Verantwortung.

Informierte Eltern können bessere Entscheidungen treffen – und genau das ist der erste Schritt zu einem entlasteteren Alltag.

Avatar von Heiko

Von Heiko

Autor des Ratgebers AD(H)S bei Kindern bis 12 Jahren

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