Nach vier Beiträgen über unseren Weg mit ADHS und LRS möchten wir zum Schluss noch einmal kurz zurück – und dann nach vorne blicken.
Denn auch wenn wir heute vieles besser verstehen und Wege gefunden haben, bleibt das Gefühl: Vieles hätte auch früher, leichter, verständnisvoller laufen können.
Was uns geholfen hätte:
1. Frühzeitige Gespräche – ohne Angst vorm „Label“
Wenn schon in Klasse 2 – oder spätestens Anfang Klasse 3 – jemand gezielt auf die Anzeichen von ADHS geschaut hätte, hätte uns das Monate, vielleicht Jahre erspart.
Nicht, um ein Kind „abzustempeln“. Sondern um rechtzeitig den passenden Rahmen zu finden.
2. Ein klarer Fahrplan statt Orientierungslosigkeit
Oft standen wir da mit einem vagen Verdacht – und keiner konnte uns sagen, wie es jetzt weitergeht.
Ein strukturierter Ablauf von Seiten der Schule wäre Gold wert gewesen:
„Wir haben den Verdacht – das sind die nächsten Schritte…“
3. Schneller Zugang zu Diagnostik
Ein halbes Jahr Wartezeit für ein Erstgespräch ist bei einem Kind, das täglich leidet, zu lang. Punkt.
Hier braucht es dringend bessere Strukturen – nicht nur auf dem Papier, sondern in der Realität.
Was wir uns wünschen:
1. Ein Schulsystem, das ADHS erkennt – und auffangen kann
Nicht die Lehrkräfte sind das Problem. Im Gegenteil:
Wir haben viele engagierte, einfühlsame Lehrerinnen und Lehrer erlebt – die gerne mehr getan hätten, aber schlicht nicht konnten.
Große Klassen, hoher Zeitdruck, zu wenig Personal – unter diesen Bedingungen lässt sich keine individuelle Förderung stemmen.
Viele Lehrkräfte würden, wenn sie könnten.
Der Fehler liegt im System – nicht bei den Menschen darin.
Um mit Kindern mit ADHS, LRS oder Autismus angemessen umzugehen, braucht es Wissen.
Dieses Wissen muss verbindlich und praxisnah ins Studium gehören – und durch regelmäßige Fortbildungen vertieft werden.
Aber: Wann sollen Lehrkräfte das noch schaffen?
Sie müssen sich fortbilden in Fachdidaktik, Digitalisierung, Diagnostik, Methodenvielfalt – und sollen gleichzeitig Unterricht, Elterngespräche, Dokumentation und Bürokratie bewältigen.
Eine „ADHS-Fachkraft“ pro Schule reicht da nicht.
Jede Lehrkraft, die mit betroffenen Kindern arbeitet, braucht Grundlagenwissen.
Und das ist keine Zusatzkompetenz – es ist heute notwendig.
2. Individueller Unterricht – für Kinder, die anders lernen
Kleinere Klassen. Ruhigere Räume. Mehr Zeit.
Das sind keine Luxuswünsche – sondern Voraussetzungen, damit Kinder mit ADHS, LRS oder Autismus überhaupt mitlernen können.
3. Mehr Präsenz gegen Mobbing – nicht nur im Morgenkreis
Wir brauchen keine zehnte Version der Stopp-Regel – sondern Erwachsene, die hinschauen, eingreifen und Konflikte professionell begleiten. Auf dem Schulhof. Im Klassenzimmer. Im Lehrerzimmer.
4. Weniger Bürokratie – mehr echte Hilfe
Immer wieder die gleichen Unterlagen.
Immer wieder neue Atteste.
Immer wieder Formulare, obwohl sich nichts geändert hat.
Wir wünschen uns ein System, das Eltern nicht zusätzlich belastet – sondern sie unterstützt.
5. Mehr Verständnis – in Schule, in Gesellschaft, in Gesprächen
ADHS ist kein Erziehungsfehler.
LRS ist keine Faulheit.
Autismus ist keine Störung, die „wegtrainiert“ werden kann.
Wir wünschen uns mehr Wissen, mehr Mitgefühl – und weniger Urteile.
Wir wissen, dass wir nicht allein sind.
Und wir wissen auch: Unser Weg ist nicht der einzig richtige.
Aber vielleicht hilft es, wenn wir ihn erzählen.
Damit andere sich wiederfinden. Oder zumindest verstanden fühlen.
Und noch etwas:
Wir glauben fest daran, dass in Kindern mit ADHS unglaubliches Potenzial steckt.
Wir erleben es jeden Tag – nicht nur bei unserem Sohn.
Viele Kinder mit ADHS denken schneller, fühlen intensiver, sehen Dinge, die anderen verborgen bleiben.
Sie sind kreativ, leidenschaftlich, mutig – aber oft gefangen in einem System, das nicht zu ihnen passt.
Es ist so schade, wie viele Chancen verloren gehen.
Wie viele Talente verkümmern, weil sie nicht gesehen werden.
Wie viele Kinder aufgeben, bevor sie je zeigen durften, wozu sie fähig sind.
Dabei wissen wir längst:
Es gibt sie – die beeindruckenden Lebenswege mit ADHS.
Nicht trotz, sondern oft wegen ihrer Besonderheit.
Wir wünschen uns eine Welt, in der das öfter erkannt – und unterstützt wird.
Vielleicht können wir mit diesem Blog einen kleinen Beitrag dazu leisten.
Danke, dass du mitgelesen hast.
Und vielleicht… bleibst du ja noch ein bisschen hier.

