Ein informativer Überblick für Eltern – keine Rechtsberatung, sondern eine Orientierungshilfe
Hinweis vorab:
Dieser Beitrag ist das Ergebnis einer Recherchearbeit und dient der allgemeinen Information. Er stellt keine rechtliche Beratung dar und ersetzt auch nicht die offizielle Stellungnahme von Schulen, Behörden oder Jurist*innen.
Bitte beachte: Die Regelungen zu Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen können je nach Bundesland unterschiedlich ausgestaltet sein.
Wenn du unsicher bist oder dein Kind betroffen ist, wende dich an die Schulleitung, das zuständige Schulamt oder eine unabhängige Beratungsstelle.
Was regelt § 90 Schulgesetz?
§ 90 (z. B. im Schulgesetz Baden-Württemberg) behandelt die rechtlichen Grundlagen für Maßnahmen, die Schulen ergreifen dürfen, wenn das Verhalten eines Schülers oder einer Schülerin den Unterricht oder das soziale Miteinander erheblich stört.
Es wird dabei unterschieden zwischen:
Erziehungsmaßnahmen
Ziel: Pädagogisch wirken, das Verhalten unmittelbar beeinflussen.
Beispiele:
- Gespräch mit dem Kind
- Sitzplatzwechsel
- mündliche Ermahnung
- Wiederholung einer Aufgabe
- schriftliche Entschuldigung
Diese Maßnahmen liegen im Ermessen der Lehrkraft, sie müssen nicht dokumentiert oder mit den Eltern abgesprochen werden – sollten aber verhältnismäßig und nachvollziehbar sein.
Fallbeispiel (korrekt):
Ein Schüler mit ADHS stört den Unterricht durch ständiges Reinrufen. Die Lehrkraft setzt ihn näher an ihren Tisch, gibt ihm klar strukturierte Aufgaben und spricht die Situation in einem kurzen Gespräch an. → Pädagogisch nachvollziehbar, keine formelle Maßnahme nötig.
Fallbeispiel (grenzwertig):
Ein Schüler wird ohne Erklärung an den Katzentisch gesetzt und dort mehrere Tage ignoriert. → Keine Förderung des Lernverhaltens, keine pädagogische Zielsetzung: fragwürdig und möglicherweise entwürdigend.
Ordnungsmaßnahmen
Ziel: Reaktion auf schwerwiegende oder wiederholte Verstöße, bei denen Erziehungsmaßnahmen nicht mehr ausreichen.
Mögliche Maßnahmen:
- Schriftlicher Verweis
- Ausschluss vom Unterricht bis zu 5 Tagen
- Umsetzung in eine Parallelklasse
- Überweisung an eine andere Schule
- Ausschluss auf Dauer
Diese Maßnahmen sind formell gebunden, müssen dokumentiert werden und dürfen nur durch die Schulleitung oder die Klassenkonferenz beschlossen werden. Sie sind keine „Strafaktionen“, sondern rechtlich geregelte Eingriffe in die Schulpflicht.
Richtiger Ablauf bei Ordnungsmaßnahmen
1. Klärung des Sachverhalts
Lehrkräfte und Schulleitung bewerten die Situation: Was ist passiert? Gab es vergleichbare Vorfälle? Wie wurde bisher reagiert?
2. Anhörung des Kindes und Information der Eltern
Vor jeder Ordnungsmaßnahme muss das Kind angehört und die Eltern informiert werden – vor der Entscheidung.
3. Einberufung der Klassenkonferenz (ab Ausschluss)
Bei Maßnahmen wie Unterrichtsausschluss über einen Tag oder Schulverweis muss eine Klassenkonferenz (bzw. Konferenz der unterrichtenden Lehrkräfte) einberufen werden.
4. Schriftlicher Bescheid
Die Maßnahme wird schriftlich mit Begründung ausgesprochen – Eltern erhalten ein Dokument mit Hinweis auf Widerspruchsmöglichkeiten.
Fallbeispiel (korrekt):
Ein Schüler bedroht einen Mitschüler auf dem Schulhof. Die Schulleitung informiert die Eltern, hört das Kind an und beruft eine Klassenkonferenz ein. Es wird ein dreitägiger Unterrichtsausschluss beschlossen, mit der Auflage, ein Gespräch mit der Schulsozialarbeit zu führen. Die Maßnahme wird schriftlich begründet. → Formell korrekt, verhältnismäßig.
Fallbeispiel (falsch):
Ein Schüler kommt dreimal zu spät. Am vierten Tag sagt die Lehrerin: „Du brauchst heute nicht mehr kommen. Und morgen auch nicht.“ → Kein Beschluss, keine Information der Eltern, keine schriftliche Dokumentation. → Verstoß gegen § 90 – unzulässig.
Was tun, wenn du als Eltern betroffen bist?
1. Ruhig bleiben – und den Sachverhalt klären
Nicht jede Maßnahme ist ein Angriff – manchmal sind es Missverständnisse oder unbeabsichtigte Kurzschlüsse.
Frage konkret nach:
- Welche Maßnahme wurde ergriffen?
- Ist es eine pädagogische Reaktion oder eine formelle Ordnungsmaßnahme?
- Gibt es einen Beschluss, ein Protokoll, eine Anhörung?
2. Gespräch mit der Schule suchen
Bitte um ein Gespräch mit der Klassenlehrkraft oder Schulleitung. Bleib sachlich, aber bestimmt. Bring Fragen mit – und bitte um eine schriftliche Zusammenfassung des Gesprächs.
3. Auf Dokumentation bestehen
Bei allen formellen Maßnahmen hast du ein Recht auf:
- Schriftliche Begründung
- Information über Rechte/Widerspruch
- Einblick in Konferenzbeschlüsse (ggf. anonymisiert)
Wenn du nur über das Kind oder andere Eltern von der Maßnahme erfährst, ist das nicht korrekt.
4. Versuchen, in den Dialog zu gehen – nicht in die Konfrontation
Auch wenn du innerlich kochst – versuche, Brücken zu bauen. Schule und Eltern stehen oft auf derselben Seite – sie wollen, dass das Kind sich entwickeln kann. Frage lieber:
- „Was braucht mein Kind, um in dieser Klasse zurechtzukommen?“
als - „Warum bestrafen Sie mein Kind?“
5. Was tun, wenn Schule sich nicht an die Vorgaben hält?
Typische Fehler:
- Ausschluss vom Unterricht ohne Anhörung
- keine Einberufung einer Konferenz bei schwerer Maßnahme
- keine schriftliche Information an die Eltern
- Maßnahmen „aus der Laune heraus“
Dann kannst du:
- Dich an das Staatliche Schulamt wenden
- Die Elternvertretung einschalten
- Eine Beschwerde schriftlich einreichen
- Im Zweifel eine Beratungsstelle oder einen Anwalt für Schulrecht kontaktieren
Fallbeispiel:
Ein Kind mit Autismus wird nach einem Wutanfall für drei Tage vom Unterricht ausgeschlossen. Die Eltern erhalten keine Information – erst beim Abholen am nächsten Tag heißt es: „Wir haben ihn erstmal freigestellt.“
→ Keine Konferenz, keine Begründung, keine Anhörung = rechtswidrig
Fazit: Grenzen setzen – ja. Aber richtig.
Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen sind Teil schulischer Arbeit. Doch sie dürfen nicht willkürlich, unangekündigt oder rechtswidrig erfolgen. Als Elternteil musst du solche Maßnahmen nicht einfach hinnehmen – aber auch nicht mit der Brechstange reagieren.
Gute Lösungen entstehen dort, wo Schule und Eltern miteinander reden, statt gegeneinander zu kämpfen. Und das beginnt mit Wissen, Klarheit – und dem Mut, Dinge anzusprechen.

